top of page

Angst lass nach- Wie ich mich meiner Höhenangst stellte

  • tanja5346
  • 25. Juni
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Juni

Hohe Orte – sie lassen mein Herz rasen, die Knie weich werden und meinen Körper erstarren.

Seit Jahren begleitet mich Höhenangst. Brücken, Aussichtstürme, schmale Pfade mit Abgrund – der Gedanke daran reicht oft schon, um körperlich zu reagieren. Dabei weiß ich: Eine reale Gefahr besteht nicht. Und dennoch ist sie da, dieses intensive Angstgefühl.

 

Doch diesmal wollte ich es anders machen. Ich wollte nicht länger ausweichen, sondern mich meiner Angst stellen. Selbstbestimmt. Schritt für Schritt.

 

 

Mein persönlicher Angstauslöser

 

Meine Höhenangst zeigt sich immer dann, wenn ich zu Fuß in der Höhe unterwegs bin und nach unten sehen kann. Klassische Angstauslöser sind:

 

  • Hohe Brücken

  • Schmale Wanderwege mit Tiefblick

  • Leitern oder

  • Aussichtsplattformen

 

Interessanterweise machen mir Flugzeuge oder Gondeln nichts aus. Vielleicht, weil ich dort „bewegt werde“ und nicht selbst aktiv bin.

 

Was mich in diesen Momenten so stark erschüttert, ist nicht die Höhe an sich, sondern die Vorstellung zu stürzen, den Halt zu verlieren, ins Bodenlose zu fallen. Dieses innere Horrorszenario löst intensive körperliche Reaktionen aus: Herzrasen, flache Atmung, Übelkeit, weiche Knie. Und vor allem: ein Gefühl der Ohnmacht.

 

  

Woher kommt die Angst?

 

Höhenangst ist in meiner Familie weit verbreitet.

Meine Großmutter konnte im Theater nicht in der dritten Etage sitzen, mein Vater mied Gondeln und Aussichtstürme. Auch in der weiteren Familie sind Aufzüge oder Flugreisen ein Thema.

 

Diese spezifische Phobie ist also Teil meines familiären Hintergrunds – und sie wirkt im Alltag manchmal einschränkend.


 

Mein Ziel: Nicht angstfrei, aber selbstwirksam

 

Völlig angstfrei zu werden, ist nicht mein Ziel. Das ist unrealistisch. Die Angst ist ein Teil meines inneren Warn- & Sicherheitssystems – und das ist okay.

Aber ich möchte das Steuer in der Hand behalten.

 

Ich will mich bewegen können, auch wenn die Angst da ist. Beim Wandern, beim Pilgern oder beim Sightseeing.  Ich will verstehen, was in mir passiert – und einen Umgang damit finden, der mir ermöglicht, handlungsfähig zu bleiben.

 

Denn nur Stärke zu zeigen und Angst zu verdrängen, führt auf Dauer zu innerer Schwächung. Ich habe gelernt: Nur wer die Angst annimmt, kann sie auch verändern.

 

 

 

Die Herausforderung: Geierlay-Brücke

 

Am Pfingstwochenende war es soweit.

Ich plante den Gang über die Geierlay-Brücke – eine 360 Meter lange Hängeseilbrücke im Hunsrück, 100 Meter über dem Abgrund. Sie wackelt. Und sie fordert heraus.

 

Aber ich kam nicht unvorbereitet.


 

Vorbereitung: Angst verstehen, regulieren, gestalten

 

Ich habe mich intensiv vorbereitet:

 

  • Verständnis der Angst: Sie entsteht in Sekundenbruchteilen im Reptiliengehirn. Völlig unwillkürlich. Um mich und mein Leben zu schützen.

  • Negative Gedankenmuster erkennen: Ich kenne meinen Horrorfilm:  Diese Vorstellung von Gleichgewichtsverlust und tiefem Fall ist mächtig. Aber nicht real - Stop!

  • Selbstregulation üben: Visualisierungen, Selbstgespräche, Atemtechniken, Lenkung der Aufmerksamkeit, achtsame Körperhaltung.

 

Ich entwickelte ein neues Bild von mir selbst:

Nicht ich als ganze Person habe Angst, sondern nur ein Teil von mir hat Angst. Meine ängstliche Seite. Und diese Seite braucht meine Zuwendung und Sicherheit.


 

Der Moment der Wahrheit

 

Vor dem „großen Sprung“ suchte ich mir eine kleinere Hängeseilbrücke zum Üben. Gestufte Exposition heißt das im Fachjargon. Das funktionierte gut.

 

Dann kam die Geierlay-Brücke. Und mit den ersten Schritten die Angst.

Der Körper wollte in die Schockstarre. Ich hätte am liebsten umgedreht.

 

Aber diesmal blieb ich. Ich ließ die Angst zu, spürte sie – und unterdrückte mein altes Muster, sie zu verdrängen. Und blieb trotzdem handlungsfähig.

Ich redete mir gut zu. Ich hörte auf, mich zu verurteilen:

 

„Ich darf Angst haben. Es ist okay. Das hier braucht Mut.“

 

Ich fokussierte meinen Blick auf einen Baum auf der anderen Seite. Die Aufmerksamkeit weg von der inneren Unruhe hin zu einem stabilen Objekt in der Umgebung zu lenken, hilft gegen den Schwindel.

Ich stellte mir vor, wie elastische Gummibänder mich halten – gespannt zwischen Erde und Himmel. Dieses innere Bild drängte meine Phantasie des Fallens zurück - und gab mir Sicherheit.

Meine Atmung half: Auf 4 ein, auf 8 aus. Tief aus dem Bauch heraus. Das signalisierte meinem Körper „Es ist alles okay“.

Und mein Partner an meiner Seite stärkte mir zusätzlich den Rücken. Er vermittelt mir das Gefühl, es gemeinsam durchzustehen. In meinem Tempo. Blieb ich stehen, blieb er stehen.


 

Der Erfolg: Selbstwirksamkeit erleben

 

Ich überquerte die Brücke.

Langsam. Bewusst. Mit Angst – aber auch mit wachsender innerer Stabilität.

Und ich ging noch weiter: Am nächsten Tag erklomm ich den Aussichtsturm „Spitzer Stein“. Kein Genuss, dafür viel Wind und Bewegung. Aber ich kam oben an.

 

Und das Gefühl danach? Stolz. Freude. Selbstwirksamkeit.

 

 

Mein Fazit: Wo die Angst ist, geht’s lang

 

Diese Erfahrung hat mir gezeigt:

Angst kann ein Wegweiser sein. Nicht zum Davonlaufen – sondern zum Hinsehen.

Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben. Mut bedeutet, die Angst zu kennen – und trotzdem den nächsten Schritt zu machen.

 

Wenn wir lernen, mit unserer Angst zu leben, anstatt gegen sie zu kämpfen, kann etwas Erstaunliches passieren: Wir wachsen. Und werden freier.

 

 

Vielleicht hast auch du eine Angst, die dich begleitet?

Ich kann nur ermutigen: Geh behutsam darauf zu. Mit Verständnis, guter Vorbereitung und Menschen, die dich stärken.

Der Weg lohnt sich.

 

Aufstieg auf den 16 Meter hohen Aussichtsturm am Spitzen Stein in Sankt Goar

 

 
 
 

Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
bottom of page